Dietrich Conrad, die gute Seele des LSK, feiert heute 85. Geburtstag.
Foto: t&w

Dietrich Conrad ist schon hellwach und gewohnt gutgelaunt, als wir ihn heute Morgen um 9 Uhr angerufen und zum 85. Geburtstag gratuliert haben: „Kinders, ick bin schon um halb sechs aufgestanden und habe die Landeszeitung aus dem Briefkasten geholt. Ick wollte sehen, ob ick auf Seite 1 stehe. Aber wieder nix – ick muss wohl erst einen umbringen“, lacht Conny, wie ihn alle nennen.

So kennt die LSK-Familie ihren Ehrenpräsidenten. Alle mögen ihn, er ist die gute Seele unseres Vereins. Tatsächlich schon 85? Das sieht man ihm wirklich nicht an. Seit 64 Jahren ist Conny Mitglied im LSK, ein halbes Jahrhundert arbeitete er im Vorstand, zweimal war er Präsident. Es war eine Ära mit rauschenden Erfolgen und bitteren Enttäuschungen. Aber der Reihe nach.

Conrad kann sich gut ans erste Rendezvous mit seiner großen Liebe LSK erinnern: „Im Jahr 1952 war ich nach Vertreibung und Flucht mit meiner Familie aus Frankfurt/Oder schließlich in Lüneburg gelandet. Ich weiß noch genau, es war ein Samstag. Und am nächsten Tag hat mich mein großer Bruder gleich mit zum LSK genommen.“ An diesem Sonntag in Wilschenbruch verlor der 16-jährige Flüchtlingsjunge sein Herz an den LSK.

Als der Flüchtlingsjunge den LSK ins Herz schloss

Aber es dauerte noch bis 1957, bis er bei den Schwarz-Weißen eintreten durfte. „Da wurde ich 21 und somit volljährig. Vorher hatten meine Eltern mir das verboten. Wir waren sieben Kinder, eine Vereinsmitgliedschaft war finanziell einfach nicht drin.“

Ab 1957 kickte Conny also für den LSK. Nicht in der Ersten, aber Veteranen erinnern sich immer noch ans legendäre Mittelfeld des LSK III mit den Brillenträgern Conrad, Karl-Heinz Capelle und Horst Hiemisch, beide leider viel zu früh verstorben„Bei Regen haben wir meist verloren“, schmunzelt Conrad.

Mehr Talent als auf dem Spielfeld entwickelte Dietrich Conrad auf Vorstandsebene. Im Jahr 1970 wurde er 2. Kassenwart an der Seite von Hiemisch, später Vizepräsident. Von 1990 bis 1998 war er LSK-Präsident, wurde zum Ehrenpräsidenten ernannt. Im Jahr 2001 musste Conny die bittere Insolvenz seines LSK miterleben. 2009, als der Klub in höchster Not war, übernahm er noch einmal das Ruder – bis 2016. Conny arbeitet bis heute als 2. Vorsitzender an der Abwicklung des LSK von 1901 mit, dessen Insolvenz nach 20 Jahren noch immer nicht abgeschlossen ist.

Der größte LSK-Coup aller Zeiten: Zobel kommt!

Der heutige LSK-Teamchef Rainer Zobel (vorne) wechselte 1976 mit 27 Jahren vom FC Bayern München zum LSK und löste einen Zuschauer-Boom aus.
Foto: Archiv Rölcke

Conrad hat die goldenen Zeiten des LSK in den 70er und 80er Jahren miterlebt. Damals war der renommierte und umtriebige Architekt Gerd Meyer-Eggers Präsident. Der lotste 1976 den Bundesliga-Star Rainer Zobel von Bayern München nach Lüneburg. Zobel war damals erst 27 Jahre alt, hatte gerade an der Seite von Beckenbauer, Maier, Müller, Breitner, Hoeneß & Co. dreimal hintereinander den Europapokal der Landesmeister gewonnen. „Doch dann überwarf er sich mit dem neuen Trainer Dettmar Cramer. Die Bayern boten ihm einen schlechteren Vertrag an. Da hatte er die Nase voll und kam zu uns“, erinnert sich Conrad.

Damals eine Sensation! Die beinahe gescheitert wäre. „Die Bayern verloren an diesem Wochenende 0:7 gegen Schalke und wollten Zobel zurückholen“, weiß Conny noch, „doch da er sein erstes Amateurspiel in Bodenteich für uns gemacht hatte, war das nicht mehr möglich.“

Mit Zobel begann eine große Zeit in Wilschenbruch. Der LSK stieg zweimal auf, bis in die dritte Liga. Neben Zobel waren der blutjunge Torjäger Karsten Wagner und A-Jugend-Weltmeister Ralf Sievers die Stars jener Tage. Auch Namen wie Roland „Bomber“ Ulbrich, Martin Stäcker, Helmut Krause, „Tabi“ Bubolz, Alfred Warsitzka, „Kuddi“ Körtge und „Flocke“ Fleske sind unvergessen. 3000 bis 4000 Fans strömten im Schnitt zu den Heimspielen. Im deutschen Amateurfußball hatte damals nur 1860 München mehr Zuschauer.

Connys beste LSK-Elf aller Zeiten

1980: Der 17-jährige Karsten Wagner auf den Schultern der begeisterten LSK-Fans. Mit vier Toren in den beiden letzten Aufstiegsspielen hat er den LSK in die 3. Liga geschossen.
Foto: Archiv Rölcke

Unvergessen bleibt Conrad – und nicht nur ihm – natürlich das Jahrhundert-Spiel im Jahr 1980 gegen den VfR Neumünster, als der 17-jährige „Schnecke“ Wagner beim hoffnungslosen 1:3 reinkam und ganz cool drei Tore zum 4:3 machte. Einige Tage später erzielte Wagner auch den 1:0-Siegtreffer bei Bergedorf 85 und schoss den LSK vor 10.000 Zuschauern in die 3. Liga. Ein Aufkleber zierte damals unzählige Lüneburger Autos: LSK – alles klar! Das wurde zum geflügelten Wort.

Fragt man Conny nach seiner besten LSK-Elf aller Zeiten, muss er lange überlegen: „Helmut Krause im Tor. In der Abwehr Werner Jaschik, Detlef Spincke, Alfred Warsitzka und Kuddi Körtge. Im Mittelfeld Ralf Sievers, Rainer Zobel und Patrick Owomoyela. Im Sturm Marinus Bester, Karsten Wagner und Detlef Olaidotter. Und dann könnte ich noch eine zweite Mannschaft mit Martin Stäcker, Peter Abels, Elard Ostermann, Michi Maiwald, Roland Ulbrich und anderen nennen, die sicher genauso gut wäre.“

Oft gehört, gern gehört: „Ick jeeb ma’ einen aus“

Unter Freunden: Conny (oben, 3. v. r.) auf dem Hof des Café Klatsch im Kreise von Lüneburger Musikern, die den LSK unterstützen.
Foto: Jürgen Poersch

Es war damals nicht nur die Zeit der großen LSK-Spieler, sondern auch der großen Gönner. Zu ihnen zählte Dietrich Conrad. Er war in jenen Tagen Geschäftsführer des Lüneburger Gleisbauunternehmens Harms & Haffke. Die Geschäfte liefen prächtig, auch deshalb, weil Conrad ausgezeichnet mit Bahn-Chef Heinz Dürr konnte. Also verdiente Conrad sehr gut – und steckte sein Geld überwiegend in den LSK. Ob ein Betreuer-Geburtstag im Vereinsheim, eine Spieler-Hochzeit oder ein Trainingslager für 10.000 Mark – „Millionen-Conny“, wie er damals genannt wurde, zahlte. Wenn Spieler in Not gerieten, für die er gebürgt hatte – Conny zahlte, vierstellige Summen jeden Monat. Wenn am Tresen die gesamte Zeche des Abends fällig wurde – Conny zahlte. Unzählige Bierfreunde haben (gern) seinen berlinernden Standard-Satz gehört: „Ick jeeb ma’ einen aus.“

Als „Millionen-Conny“ alles verlor

Der Tiefpunkt: Im August 1999 musste Geschäftsführer Dietrich Conrad den Mitarbeitern von Harms & Haffke bei einer Betriebsversammlung mitteilen, dass das Unternehmen insolvent ist. Hunderte verloren ihren Job.
Foto: Michael Behns

Doch dann kam die bitterste Stunde. Harms & Haffke musste 1999 Insolvenz anmelden. Es kamen einfach keine Aufträge mehr rein von der klammen Bahn. Conrad haftete als Geschäftsführer, verlor sein gesamtes Vermögen. Alles. Bis heute wird seine Rente teilweise von Gläubigern gepfändet. Der Mann, der früher allen aus der Patsche half, muss vom Sozialhilfesatz leben – aber er beklagt sich nicht. Nie.

Hat er bereut, dass er früher so großzügig war? „Nein“, sagt Conrad, „ich habe den Menschen das Geld ja nicht gegeben, damit ich es mal zurückbekomme.“ Ist er von einigen enttäuscht? „Nein“, sagt er, „das bin ich nicht.“ Grund hätte er.

Von Wendisch Evern ist Conny enttäuscht

Dietrich Conrad war aber nicht nur der große Gönner des LSK, sondern auch der große Sympathieträger. Ihn mögen alle – selbst diejenigen, die seinem Klub eher reserviert gegenüberstehen. Conny war trotz aller Begeisterung für den LSK immer um Ausgleich mit anderen Vereinen bemüht. Er half anderen Klubs – zum Beispiel dem SV Wendisch Evern. Als der Verein in den 90er Jahren beim Sportplatzbau Unterstützung brauchte, schickte Conny Maschinen und Mitarbeiter von Harms & Haffke, natürlich kostenlos.

Dass die Bürger von Wendisch Evern sich kürzlich bei der Abstimmung um den Sportpark Ostheide, den der LSK gerne auf Wendisch Everner Gemeindegebiet gebaut hätte, so ablehnend, so undankbar zeigten, gehört zu den größten Enttäuschungen des Dietrich Conrad. Trotzdem hat man vom ihm, der noch in den Tagen vor der Abstimmung zu Fuß in Wendisch unterwegs war und Flyer verteilte, auch diesmal kein böses Wort gehört.

Connys Herzlichkeit, seine Sensibilität, sein feinsinniger Humor, seine Meinungsstärke und Eloquenz, seine Bescheidenheit, seine Intelligenz und umfassende Bildung ziehen die Menschen bis heute an. Er war immer der Präsident der Herzen, die gute Seele und das gute Gewissen des LSK.

„Conny! Conny!“-Sprechchöre bei Weihnachtsfeier

Stammgast beim LSK: Dietrich Conrad (2. v. l.) – neben Kurt Meier (l.) – beim Auswärtsspiel in Dassendorf.
Foto: Jürgen Poersch

Das ist bis heute so. Auch die Spieler unserer Regionalliga-Mannschaft haben Conny ins Herz geschlossen. Er war – wenn Corona es zuließ – bei fast allen Spielen dabei, ob daheim oder auswärts, er ließ kaum ein Training in der Goseburg aus. Und er hatte immer ein gutes Wort für die Spieler, gern auch mal eine augenzwinkernde Frotzelei. So verwundert es nicht, dass Conny eingeladen wird, wenn die Erste sich zu Feiern trifft. Mit „Conny! Conny!“-Sprechchören wurde er Weihnachten 2019 gefeiert – von den Spielern, die seine Ur-Enkel sein könnten.

„Das war alles viel schlimmer“

Dietrich Conrad hat in 85 Jahren viel erlebt, mahnt auch in Corona-Zeiten zur Gelassenheit.
Foto: Kerstin Thomas

Menschen wie Conny bieten anderen Orientierung. Auch in Corona-Zeiten. „Mensch, Kinders, das muss eben jetzt mal sein, dass wir einige Monate zuhause bleiben“, sagt er, „das ist doch alles auszuhalten. Ich erinnere mich noch genau an die letzten Kriegsmonate. Neun Jahre war ich alt. Wir saßen zuhause nächtelang im Keller. Kein Strom, kein Licht, keine Heizung. Kaum etwas zu essen. Und ständig die Angst, dass eine Fliegerbombe auf unser Haus fällt und wir alle tot sind. Anschließend die Flucht mit unserer Mutter. Die jetzige Situation ist schlimm – aber damals, das war alles viel schlimmer.“

Weise Worte. So weise wie einer von Connys Leitsätzen: „Man muss anständig miteinander umgehen.“ So anständige Charaktere wie Dietrich Conrad findet man nicht so häufig im Fußball.

Lieber Conny, wir sind froh, dass wir Dich haben. Die gesamte LSK-Familie gratuliert Dir ganz herzlich. Bleib’ so munter und gesund! Wie feiert Conny seinen 85. Geburtstag? Er lacht: „Ich habe 500 Leute eingeladen – ich habe ihnen aber nicht gesagt, wo.“

Übrigens: Wer Conny heute persönlich zum Geburtstag gratulieren möchte, erreicht ihn unter (04131) 4 28 38 oder (0160) 96 90 41 87.